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Presseartikel zur Verabschiedung von Ilse Hannibal am 22.01.14 (Die Rheinpfalz)

Ein Lebensbuch, geschrieben mit grüner Tinte

Richard Wagner mag ja ein ganz außergewöhnliches Genie gewesen sein, aber damit sein Lebenswerk, die Bayreuther Festspiele, gelingen konnte, war er auf andere angewiesen. Natürlich zunächst einmal auf den bayerischen König Ludwig II., der ihm bei dem ehrgeizigen Projekt auf dem Grünen Hügel finanziell kräftig unter die Arme greifen musste. Aber der Meister gewann auch sehr schnell deutschlandweit Jünger für seine Mission - etwa in Mannheim, wo sich 1871 der erste Wagner-Verein gründete, der im Grunde nichts anderes war als eine Art Gebühreneinzugszentrale, bei der die im Wagner-Wahn umnebelten begeisterten Anhänger des Meisters sich ihre Eintrittskarte weniger in den Himmel der Musik als in Wotans Walhall kaufen konnten (was aber, nebenbei, für Wagner-Anhänger, dasselbe ist). Bis heute ist die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth eine wichtige Säule der Festspiele.

Doch Wagner war ja immer schon auch ein Freund der Frauen - und umgekehrt. Auch das zarte Geschlecht wollte die machtvollen Klänge der Wagner'schen Mammutopern engelsgleich in die Welt hinausposaunen, weshalb sich 1909 der Richard-Wagner-Verband Deutscher Frauen gründete, der allerdings 1949 seine diskriminierende Grundausrichtung aufgab und seitdem auch Männer aufnimmt. Und wer in Deutschland, ach was, weltweit an Wagner-Verbände denkt, der denkt auch an den zweitgrößten - in Mannheim. Und wer an den Mannheimer Wagner-Verband denkt, der denkt auch an eine eindrucksvolle Persönlichkeit, die diesen 45 Jahre lang als Vorsitzende führte: die 87-jährige Ilse Hannibal. Am Mittwoch endete diese unvorstellbar lange Ära, der Verband hat in Monika Kulczinski eine neue Vorsitzende und in Ilse Hannibal eine Ehrenvorsitzende. Dass eine solche Stabübergabe nicht ohne lokale und Bayreuther Prominenz abgeht, ist nicht weiter überraschend.

Vom Grünen Hügel war beispielsweise Festspielleiterin Eva Wagner-Pasquier angereist und bewunderte außer dem unermüdlichen Engagement Ilse Hannibals deren - Frisur. Die ist in ihrer steil aufgerichteten, unerschütterlichen Form ebenso zu ihrem Markenzeichen geworden wie die grüne Tinte, mit der sie die Korrespondenz des Verbandes führte: "Mir wird es nie gelingen, eine solche Frisur zu haben. Ich habe Naturlocken, bei mir geht das nicht", meinte die Wagner-Urenkelin bei der musikalisch umrahmten außerordentlichen Mitgliederversammlung.

Man kann die Musik Wagners wohl erst wirklich verstehen, wenn man Menschen wie Ilse Hannibal kennengelernt hat. Ihr Brennen für das Werk, diese unermüdliche Begeisterung, die sie versucht hat, auch an junge Menschen weiterzugeben, deren Förderung mittels Stipendien eine der Hauptaufgaben der Wagner-Verbände ist. Das Mannheimer Kulturleben jedenfalls wäre ohne sie in den vergangenen fünf Jahrzehnten viel ärmer gewesen, was auch Oberbürgermeister Peter Kurz zu würdigen wusste und ihr als Geschenk Alberichs Ring aus der vorletzten Mannheimer "Ring"-Inszenierung am Nationaltheater schenkte. Dessen Freundeskreis-Vorsitzender, Achim  Weizel, brachte denn auch das Lebenswerk von Ilse Hannibal treffend auf den Punkt: "70 Mal "Parsifal": Wer das überlebt hat, dem kann im Leben nichts mehr passieren."

(Frank Pommer / Die Rheinpfalz, 24.01.2014)

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