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Nachruf für Ilse Hannibal im Mannheimer Morgen

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Um bundesweit zur Institution zu werden, braucht es ein Menge Energie, zumal in einem schweren Fach, als das die Pflege von Richard Wagners Opernerbe sicher gelten kann. Ilse Hannibal hatte sie, auch wenn es zuletzt stiller um Mannheims prominenteste Wagnerianerin wurde. Für Ilse Hannibal, die – wie ihre Angehörigen bestätigten – in der Nacht auf Freitag im Alter von 95 Jahren friedlich eingeschlafen ist, war der jahrzehntelange Vorsitz des zweitstärksten Verbandes nach Bayreuth mehr als ein Ehrenamt. Ihr war er bis ins 89. Lebensjahr Beruf und Berufung.

45 Jahre lang lenkte sie die Geschicke des Ortsverbandes Mannheim-Kurpfalz, dessen Leitung sie 2014 in die jüngeren Hände ihrer engagierten Nachfolgerin Monika Kulzcinski legte. Neben den persönlichen, stets mit grüner Tinte handschriftlich geschriebenen Briefen an ihre zwischenzeitlich 800 Mitglieder, vielen Vereinsregularien und Aufgaben im Bundesverband der Wagner-Freunde, lag ihr vor allem die Stipendienstiftung am Herzen. Mehr als 200 junge Künstler, die kostenlos die Bayreuther Festspiele erleben durften, wählte sie über fast fünf Jahrzehnte persönlich aus.

Sie richtete zahllose Konzerte, Zusammenkünfte, Opern- und Kongressreisen – 1975 sogar die Bundestagung im Rosengarten aus, feierte mit ihren Mitgliedern und prominenten Gästen aus dem In- und Ausland runde Jubiläen. Und wurde zur festen Größe, ja zur Institution auf dem Grünen Hügel, dem internationalen und vor allem dem Mannheimer Parkett. Kein Hügel-Besuch ohne Nachfragen und Grüße an die „hohe Frau“, der es zuletzt körperlich nicht mehr möglich war, an den Festspielen teilzunehmen.

Das Wagner-Geschehen verfolgte sie indes als „Präsidenten im Ruhestand“ noch rege, freute sich über Grüße und Einladungen zu Festakten oder das große, ihr zum 90. Geburtstag von ihrem Verband gewidmete Galakonzert im Januar 2016. Noch für den Geburtstagsartikel zu ihrem 95. Geburtstag Ende Januar bedankte sie sich persönlich und mit festem Schriftbild: „Ich hätte nicht gedacht, dass mir so hochbetagt und abseits vom täglichen Leben im Seniorenheim noch so eine große Ehre widerfährt!“ Dort hat sie nun in den letzten vier Wochen Kraft und wohl auch Wille verlassen. Umsorgt von ihrem Sohn Gunter und ihrer Tochter Uta Seitz hat ihr starkes Herz im Schlaf aufgehört zu schlagen.

Die Arbeit, die Hannibal 1968 von Industriellenwitwe Helene Röchling übernahm, wurde ihr zum Hauptberuf, der 2011 mit der Feier des 100. Verbandsjubiläums gekrönt wurde. Mit Blick in die Chronik sollte man nicht vergessen: Hannibal, die aus heutiger Sicht ein höchst konservatives Kulturverständnis vertrat, führte den Wagner-Verband einst in andere, moderne Zeiten. Vorbei war die Zeit, da betuchte Damen aus der Oststadt mal eben aus der Handtasche Künstlergagen übernahmen oder ausstehende Beiträge als Petitesse négligeable galten. Den Bessere-Leute-Club wandelte sie mit starker Hand in einen zeitgemäßen Verein mit satzungsgemäßen Rechten und Pflichten.

Die Umwandlung in einen eingetragenen Verein, die Einigung mit Ludwigshafen zum Ortsverband Mannheim-Kurpfalz zu werden, ohne Heidelberg zu verprellen, das Werben und Klappern bei Kulturpolitik, Sponsoren und Mitgliedern – all das waren Großtaten, die die energiegeladene Pfarrerstochter, Konzert-Altistin und Arztgattin mit Verve stemmte.

Dass sie all das schaffte, ist auch ihrer – teils gefürchteten – Resolutheit zu verdanken, die sich im hohen Alter zu einer liebenswürdigen Milde wandelte. Ilse Hannibal hatte ein starkes und großes Herz für die Sache „des Meisters“ – und für Menschen, die sich ihr Vertrauen und ihre Wertschätzung erworben hatten. Sie konnte auch kräftig anecken, stur und unerbittlich sein. Durchsetzungsstark setzte sie sich für die Belange des Verbands ein, privat zeigte sie sich hingegen herzlich und charmant. Und ihren Humor hat sich die in Eisenach und Kassel Aufgewachsene bei alledem ohnehin immer bewahrt. Mit Ilse Hannibal geht eine der Frauen der Vorkriegsgeneration, ohne die städtisches Kulturleben ein ärmeres wäre.

Abschied nehmen heißt es auch von einer jener Damen großbürgerlicher Haltung, die noch Perlen, Pelz, Hut und Modellkleider trugen, ein Hausmädchen hatten und im Salon „bitten ließen“. Mit Ilse Hannibal stirbt eine in heutiger Diktion „tolle Frau“ , aber eben auch eine Grande Dame vergangener Tage. Zu Recht sind die Anerkennungen zahlreich: 2001 wurde sie für ihre Verdienste um das musikalische Leben der Stadt „für hervorragenden Bürgersinn“ mit dem Silberabschlag des Rheingolddukatens geehrt. Zudem erhielt sie mit dem „Goldenen W“ die höchste Auszeichnung des Bundesverbands der Wagner-Freunde, die Bundesverdienstmedaille kam 1986 hinzu. Achtung und Respekt gebührt ihr für beides, das unglaubliche kulturelle Engagement und als Vertreterin eines Bürgertums, das es so nicht mehr gibt. Ein fester Platz im kulturellen Gedächtnis der Region ist Ilse Hannibal sicher.

(Ralf-Carl Langhals / Mannheimer Morgen, 17.04.2021)

 


 

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