Presseartikel "Wagners Wettsingen am Nationaltheater Mannheim ohne Grabenkämpfe" vom 11. Oktober 2021
Wagners Wettsingen am Nationaltheater Mannheim ohne Grabenkämpfe
Auf die Bühnen-Rückwand wird ein überlebensgroßes Bild von Meister Richard W. geworfen. Doch davor darf sich im Opernhaus des Nationaltheaters das Orchester breit machen. Vor allem aber tief: Es hat also den quälend engen Graben hinter sich gelassen, der an den „normalen“ Opernabenden gelegentlich akustische Verzerrungen erzeugen kann - und den Orchesterpart manchmal zum Flachrelief verkleinert. Diesmal sind die Instrumentalistinnen und Instrumentalisten oben auf der Bühne und begegnen den Gesangssolisten optisch-künstlerisch auf Augenhöhe.
Und auch sonst kann die von Alexander Soddy dirigierte Operngala mit Besonderheiten dienen: Anlass ist der eher halb als ganz runde Geburtstag (der schon 110.), den der Richard-Wagner-Verband Mannheim-Kurpfalz zu begehen hat. Denn solche Feste muss man heutzutage feiern, wie auch in der Grußbotschaft von Katharina Wagner ausgerichtet wird, die nach Corona noch einmal beklagt, wie still es ohne Kunst doch sei. Zumal ohne die Kunst von Richard Wagner, könnte man noch scherzen. Und mit seinen Scherzen wäre man an diesem Abend nicht allein: Der Bariton Joachim Goltz entrollt ein meterlanges Manuskript, droht den ermüdenden Geburtstagsfeierredner an. Doch auf dem Manuskript steht - praktisch nichts. Stattdessen singt der Scherzbold Goltz im Anschluss voll dunklem Ingrimm eine Arie aus dem „Lohengrin“: „Du fürchterliches Weib“.
Der Abend ist ein Benefizkonzert, die Einnahmen sollen der neuen Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ dienen. Dessen Ouvertüre gibt es jetzt schon, Alexander Soddy macht sie hochseetauglich, ist ein Kapitän, der auch in aufgerauter See sicher auf seiner Brücke steht - und in den lyrischen Passagen große Ruhe ausstrahlt. Ohne dass aus dieser Ruhe eine Flaute wird.
Daneben hören die rund 500 Gäste selten je enttäuschende, dafür zahlreiche gute und sogar spektakuläre Sängerleistungen. Sung Ha etwa gibt seine Arie aus dem „Holländer“ (Mögst du, mein Kind) mit schlankem Schliff und sorgsam ausgearbeiteter Eloquenz.
So viel zu Wagner. Monika Kulczinski, hiesige Verbandsvorsitzende der Wagnerianer, wünscht sich - Giacomo Puccini. Den bekommt sie auch, und wie: Die Arie „Che gelida manina“ aus „La Bohème“ löst mittlere Tumulte aus. Irakli Kakhidze schraubt sich wie in Fieberschüben immer höher, sein Tenor wird immer mächtiger und überwältigender. Doch ein Bariton kann ebenfalls begeistern, sogar wenn er wie der Marquis Posa in „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi seine Sterbeszene hat: Nikola Diskics Stimme bleibt trotz ganz großen Theaters voll und samtig.
Julia Faylenbogen (als Saint-Sa ëns’ Dalila), Ilya Lapich (in „Iolanta“ von Tschaikowsky) und Jelena Kordic (die tatsächlich den „Verismo“ in „Cavalleria Rusticana“ sucht) halten ein ähnliches Niveau. Schließlich gibt Astrid Kessler die Agathe aus dem „Freischütz“ Webers: nicht als hinterwäldlerisches, allzu frommes Dorfkind, sondern als erfahrene Geliebte. Auch „ihr“ Max (Jonathan Stoughton) ist kein Zagender und Zaudernder. Nicht mal, wenn ihm das glänzend spielende Orchester scharfe, tiefe Streicher-Hiebe beibringt, wie man sie nur unter wirklich guten Dirigenten hört. Zur Zugabe kreisen die Flaschen und die Stimmen: Sämtliche Solisten geben sich dem Trinklied aus „La Traviata“ hin.
Dr. Hans-Günter Fischer (Mannheimer Morgen / 11.10.21)