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Nachruf zum Tod von Waltraud Brunst

Ciao, Bella! Die fast unerschütterliche Waltraud Brunst ist verstorben

Wer ihr zuletzt noch im Theresienkrankenhaus einen Besuch abgestattet, mit ihr telefoniert und sie danach sogar noch in der Oper des Nationaltheater angetroffen hatte, der wurde Zeuge ihres schier unerschütterlichen Humors. Selbst starke Schmerzen schienen ihrer Lebenslust bisweilen nichts anhaben zu können, und immer hatte sie noch einen lockeren Spruch auf den Lippen, der sie und die Welt um sie herum mit einem Augenzwinkern in Beziehung setzte. Wie nach ihrem ersten Herzinfarkt vor vielen Jahren in Venedig, als sie kurz darauf am Telefon sagte, es gebe schließlich doch Schlimmeres als den „Tod in Venedig“ (Erzählung von Thomas Mann).

Nun hat Waltraut Brunst den Kampf gegen gleich mehrere Leiden und Krankheiten verloren. Am Samstag starb sie im Alter von 84 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Sie sei einfach nicht wieder aufgewacht, bestätigte ein enger Vertrauter der Familie Brunst in Ladenburg. Die Region, ihr Wohnort Ladenburg und Mannheim haben ein echtes Original, eine Musikkennerin und einen liebenswerten Menschen verloren. Waltraud Brunst hinterlässt zwei Söhne.

Die vergangenen Jahre hatte sie bereits weitgehend in Krankenhäusern verbracht, sich mehreren Operationen unterziehen müssen und ist dem Tod, wie sie sicherlich selbst gesagt hätte, mehrmals von der Schippe gesprungen.

Zuletzt schien es ihr aber wieder besser zu gehen, sie begann sogar wieder mit dem Schreiben für diese Redaktion, für die sie seit Jahrzehnten eine sichere Kraft als Kritikerin war - ob nun in der Musikwelt und dort vorwiegend im Nationaltheater, oder eben im Kabarett in der Klapsmühl, über das sie schrieb wie keine andere. Denn hier, gewissermaßen zwischen der maximalen Kunst der großen Opernbühne und dem kulturellen Minimalereignis im Taschenformat der Kleinkunst, war ihre Welt, das Hehre stand neben dem Beschwingten, Banalen und Bissigen, mehr: Die kontrastierenden Sphären standen sich in der bis zum Schluss noch schnell funktionierenden Gedankenwelt von Waltraud Brunst keineswegs im Wege, sondern bedingten einander.

Wer sie 2018 im Rosengarten bei einem Benefiz-Event der Musikkritiker Georg Kreisler singend erlebt hat, wer 2016 dabei war, als die Grande Dame der Mannheimer Kultur stolz ihr erstes Büchlein mit ihren besten „Zeitzeichen“-Glossen vorstellte, wer gesehen hat, wie voll der Saal des Verlags Waldkirch war und wie sehr die Menschen sich amüsierten, weiß, dass Brunst als Autorin dieser Zeitung ihre treue Anhängerschaft hatte. Das Motto ihrer kleinen Texte: „Worüber sich bisher noch niemand Gedanken gemacht hat“. Gedanken machte sie sich aber schon lange vor Einführung des „Zeitzeichens“ 2005. Fantasie lässt „W.B.“ schon seit den 1970er Jahren walten, denn die in der Fritz-Wunderlich-Stadt Kusel Geborene schrieb fast ein halbes Jahrhundert lang über Musik, weswegen man sie „Doyenne der Kurpfälzer Musikkritik“ nennen darf.

Keine Frage: Waltraud Brunst war eine Instanz. Die gelernte Stenotypistin kannte die meisten Opernarien auswendig, die gesamte Kammer- und sinfonische Musik samt Liedliteratur - und, nicht zu vergessen: das Sakrale, das ihr besonders am Herzen lag, wo sie doch Jahrzehnte (wenn nicht Jahrhunderte) im Bachchor der Christuskirche sang. Von Kollegen wie Künstlern wurde sie für ihren Sachverstand, Stil und ihr diplomatisches Geschick gleichermaßen geschätzt. Detailgenauigkeit, Zuverlässigkeit sowie Fairness im Umgang mit Künstlern ergänzen das Bild. Für ihre Verdienste hat ihr der Richard-Wagner-Verband 2021 die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Eine Ehre war auch, sie gekannt zu haben. Ciao, Bella!

 

(Stefan M. Dettlinger / Mannheimer Morgen 14.02.2022)

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