Presseartikel zum Konzert am 09.06.2024
Wagnerverband: Zu Gast bei netten Leuten
Was für ein Wechselbad der Gefühle: Zuerst legt hier Monika Kulczinski einen fetten Blumenstrauß für die Opfer der Messerattacke am Marktplatz nieder; fast staatstragend wirkt, wie die Wagnerverbandsvorsitzende dabei am Altar der Christuskirche agiert. Und dann hält Marcus Fähnle eine der unterhaltsamsten Reden seit langem. Bei ihm, dem Schirmherr dieses Abends namens „Wagner trifft Verdi“, bekommt fast Loriot’sche Qualitäten, was er sagt, wenn er etwa über die Wagnerianer spricht wie über extraterrestrische Wesen, aber als Conclusio feststellt: „Die sind ganz nett!“
Vor dem Hintergrund des Rechtsrucks in Europa, der sich zeitgleich ereignet, mag das alles nichtig erscheinen. Aber der Humanist glaubt ja stets, dass der Mensch durch kleine Portionen Kunst und Sensibilisierung verändert werden kann. So wird auch dieses mit 800 Gästen ausverkaufte Konzert zu etwas Großem.
Zumal Wagner ja wirklich nie klein gedacht hat. Schon das „Meistersinger“-Vorspiel klingt deutlich zu groß für den Raum - zumal die mittleren Stimmen des Nationaltheaterorchesters unter Janis Liepins zu kräftig geraten, klanglich einen Bauch bilden und so manches Motiv in den 1. und 2. Violinen unterbelichtet bleibt. Ein bisschen mehr silbernes Glänzen vermisst man, die Obertöne fehlen - zumindest im vorderen Teil der Kirche, wobei hinten platzierte Menschen ähnlich über die Akustik klagen.
Schade, weil Programm und Besetzung vom Feinsten sind. Da sind etwa die grandiosen Jelena Kordic und Estelle Kruger. Beide überzeugen mit Verdi klar mehr als mit Wagner, dessen Sound, der eben nicht immer nur schön, sondern auch scharf deklamiert und charakterisiert werden muss, dafür Thomas Jesatko beherrscht wie wenige. Wotans Abschied von Tochter Brünnhilde („Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind“) gelingt ihm von der Kanzel herab mit dem ihm eigenen weichen Timbre, das aber nichts an der Durchschlagskraft und Klarheit ändert von Sätzen wie am Ende: „Denn einer nur freie die Braut, der freier als ich, der Gott!“
Kordic indes hat die Mega-Bühnenpräsenz, und wie sie „O don fatale“ aus „Don Carlo“ zelebriert, ist nicht weniger als, ja, vielleicht fast schon Weltklasse. Und Kruger fühlt sich mit „È strano“ („La Traviata“) und den Koloraturen so wohl, dass sie am Ende der Cabaletta „Sempre libera“ sogar das hohe Es singt (das Verdi gar nicht vorgesehen hat). Famos.
Aber auch die anderen - inklusive dem charmant moderierenden, aber im hinteren Teil der Kirche nicht zu verstehenden Albrecht Puhlmann - sind toll: Christopher Diffey lässt seinen immer weniger jugendlich klingenden Heldentenor (als Einspringer) in Preislied („Meistersinger“) und Gralserzählung („Lohengrin“) leuchten. Da entwickelt sich eine wunderbare, große Tenorstimme mit Strahlkraft und edlem Schimmern. Und Evez Abdulla gestaltet die Nabucco-Arie „Dio di Giuda!“ in ergreifendem Ernst und beseelter Innigkeit, während Ilya Lapichs brillanter Rodrigo-Einsatz („Per me giunto“ aus „Don Carlo“) nur durch patzende Trompeten geschmälert wird. Und auch das neue Ensemblemitglied Rafael Helbig-Kostka klingt deutlich mehr als vielversprechend.
Ein sehr großer Erfolg. Die Leute sind wirklich ganz nett. Bei Wiederholung aber bitte noch mal über den Raum nachdenken. Jubel im Stehen.
(Stefan M. Dettlinger / Mannheimer Morgen 11.06.2024)